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Abes "Nationalistisches Geschwätz": Olympiakritik ist anti-japanisch

"Japan zurückzuholen"  (Nihon o, torimodosu 日本を、取り戻す) war Abe Shinzô immer schon eine Herzensangelegenheit,  die er zum Beispiel auf Wahlwerbeplakaten zum Ausdruck brachte (siehe Cover-Foto). Nun trat der 2020 aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretene Ex-Premierminister Abe Shinzô in einem Interview mit dem Monatsmagazin Hanada (Nr. 8/2021) einmal mehr mit Aussagen hervor, die man eher bei ultranationalistischen Internet-Trollen verorten würde: Wer gegen Olympia 2021 sei, sei auch gegen Japan, erklärte sinngemäß der Enkel eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers, des Ex-Premiers Kishi Nobusuke 岸 信介. Das Staunen im Land ist groß - denn nur eine kleine Minderheit ist seit längerem wegen der Corona-Pandemie überhaupt noch für Tôyô 2020/1 zu begeistern, und bereits in den acht Jahren seit der Vergabe 2013 war eine überzeugende Mehrheit für die Spiele in Meinungsumfragen kaum einmal zu ermitteln: Echt jetzt, Abe? Alles Anti-Japaner*innen? Eine Polemik:

 

Wofür sind diese Olympischen Spiele gut? Für die Freundschaft zwischen den Nationen der Welt? Für den Frieden? Für den Spaß am Sport, einer im Prinzip ja wirklich guten Sache? Für den Wiederaufbau der nordostjapanischen Katastrophenregionen nach dem Großen Beben von 2011 und dem Tsunami, der diesem folgte? Für die Betroffenen der Atomkatastrophe von Fukushima, die dem Beben auf dem Fuße folgte? Als Licht der Hoffnung in dunklen Corona-Zeiten? 

 

All dies, ja, wird gerne in japanischen und/oder olympischen Sonntagsreden so gesagt. Aber worum geht es den Olympia-Fundamentalisten Nippons tief in ihren rechtskonservativen oder ultranationalistischen Herzen wirklich? Dazu hat Japans seinerzeit engagiertester Olympiawerber Abe Shinzô, der vormalige Premierminister, nun tief blicken lassen. Sehr tief. 

 

 

"Menschen, die aufgrund ihres Geschichtsverständnisses als anti-japanisch kritisiert werden, sind stark gegen diese Veranstaltung eingestellt“, sagte Abe in dem Interview, das die Publizistin Sakurai Yoshiko 櫻井 よしこ für Hanada mit dem Politik-Titanen führte. Sakurai ist Vorsitzende einer rechtskonservativen Stiftung ("Thinktank") namens "Japan Institute for National Fundamentals" (JINF, japanisch: Kokka Kihon-Mondai Kenkyûjo 国家基本問題研究所). Und so vertraut unter seinesgleichen ging Abe das Herz über.

 

Als konkrete Beispiele für geeignete Adressaten seiner Attacken nannte Abe die seit je her - aus durchaus fundierten, z.B. sozialpolitischen Gründen - olympiakritische Kommunistische Partei oder das im Mai publizierte Editorial der liberalen, aber keineswegs kommunistischen Asahi Shimbun. Diese hatte im Mai angesichts der wieder steigenden Corona-Zahlen in Japan bei noch extrem niedriger Impfquote die Absage bzw. nochmalige Verschiebung der Spiele gefordert.

 

Bei diesem Blatt macht der von Ultrarechten in Japan alle Nase lang erhobenen Vorwurf des Anti-Japanischen besonders wenig Sinn: Die Asahi Shimbun ist Offizieller Partner der Spiele und hat ihre Kritik an dem von zahlreichen Skandalen gezeichneten Projekt Tôyô 2020 nach Vertragsschluss 2016 in sehr überschaubarem Rahmen gehalten. Über die mittlerweile allenthalben mit Händen zu greifende Korruption wurde jahrelang zumeist defensiv berichtet. Oder gar nicht. 

 

Abes verbaler Amoklauf fängt aber gerade erst an: Mit den Medaillen, die die Athleten jetzt bitteschön gewinnen mögen, "versichert sich die Gemeinschaft der Japaner gegenseitig des japanischen Bandes", so redet sich Abe geradezu in einen nationalistischen Rausch. "Dass die sich zu Freiheit und Demokratie bekennenden Japaner(innen) die Olympischen Spiele zum Erfolg führen, ist für Japan eine Verantwortung von  historischer Bedeutung." Dieser Verantwortung werde die politische Opposition (yatô 野党) nicht gerecht: „Es bereitet ihr offenbar Unbehagen, wenn in Japan Olympische Spiele zum Erfolg geführt werden.“ 

 

Abes Olympia hingegen ist eines, das seinem Großvater, dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Kishi Nobusuke gefallen hätte: "Gefühle gemeinsam zu teilen, wird das Band zwischen uns als Japanern stärken. Es wird unsere Identität als Japaner, unser Selbstwertgefühl formen." Oder: "Es ist sehr wichtig für das Volk, gemeinsame Erinnerungen zu schaffen.“ Ach, wie gerne würde das Volk der Japaner*innen sich gemeinsam einst daran erinnern, wie grandios seine Regierung die Corona-Krise gemeistert hat. 

 

Kommentar der Zeitung Nikkan Gendai: "Alles nur nationalistisches Geschwätz“ (kokusui-shugi na hanashi bakari国粋主義的な話ばかり). Naheliegende Frage des Blattes: Bezeichnet Abe auch die in Umfragen bis zu über 80 Prozent ermittelten Menschen, die eine Absage oder Verschiebung der Spiele forderten, tatsächlich als anti-japanisch? Die Schuld an dem Schlamassel liege in Wirklichkeit in Abes Ego begründet, so Nikkan Gendai. Als nämlich im vergangenen Frühjahr viele aus dem Volk der Japaner sich für eine Verschiebung der Spiele um zwei Jahre aussprachen, da habe der damalige Regierungschef noch geglaubt, es sei mit einer Verlegung um ein Jahr getan. Abe, der am 16. September 2020 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt schied, habe zum Zeitpunkt der Verlegung auf 2021 wohl darauf gehofft, zum Zeitpunkt der Spiele noch selbst im Amt zu sein.

 

Hätte er sich mal beizeiten um Impfstoff bemüht, möchte man da anmerken. Nun begebe Abe sich mit seinen Vorwürfen auf das Niveau der im Internet organisierten Rechten (netto uyoku ネット右翼), die jede andere Meinung sofort mit dem Attribut "anti-japanisch" belegen würden. Der wahre Anti-Japaner sei jedoch Abe selbst, behauptet im Nachgang am 10. Juli dann die Zeitung noch und beschimpft den Ex-Premier als "66-jähriges Kleinkind", der in seiner Amtszeit das Land an die Privatwirtschaft verkauft und die Verfassung zerstört habe. 

 

 

 Quellen: 

 

Mainichi Shimbun (3. Juli 2021)

https://mainichi.jp/articles/20210703/k00/00m/010/034000c

 

Nikkan Gendai:

 

https://news.yahoo.co.jp/articles/61c68e2a999c9a34a6d52f7e19549470a176736e

 

 


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