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Fukushima und Olympia: Ein Gerichtsurteil legt tiefere Bedeutung der "Wiederaufbau-Spiele" frei

 

Ist es das, was sie in Japan und beim IOC unter „Wiederaufbau-Spiele“ (fukkô gorin 復興五輪) verstehen? Für viele Betroffene der Atomkatastrophe bedeutet der Ausdruck nichts anderes als der von Olympia 2020/21 beeinflusste jahrelange Druck der Regierung auf die Opfer, möglichst rasch in Gebiete mit erhöhter Radioaktivität zurückzukehren. Jetzt hat ein Gericht in Tôkyô die Rechtmäßigkeit dieser international vielfach als Menschenrechtsverletzung gebrandmarkten Politik festgestellt.

 

"Fehlurteil", so kommentierten die Betroffenen der Gruppenklage die Entscheidung des Bezirksgerichts in Japans Hauptstadt nur eineinhalb Wochen vor Eröffnung der vielbesungenen "Wiederaufbau-Spiele". Die Regierung im Gastgeberland der Olympischen und Paralympischen Spiele durfte die nach dem Atomunfall in Fukushima ergangenen Evakuierungsanordnungen aufheben, in denen zuvor eine radioaktive Strahlung von 20 Millisievert pro Jahr gemessen worden war. So entschied es am 12. Juli das Bezirksgericht Tôkyô, das damit die Klage von 808 Kläger*innen zurückwies. Sie hatten eine Zurücknahme der Aufhebung von Evakuierungsanordnungen gefordert, da die verbleibende Strahlenmenge die vor dem Unfall auch in Japan geltenden Empfehlungen bis heute um fast das Zwanzigfache übersteigen darf. „Eine Verletzung der Rechte der Bürger*innen kann nicht bestätigt werden, die Anordnungen waren nicht unrechtmäßig“, entschied das Gericht laut der Tageszeitung Chûnichi  Shimbun

 

Die Regierung hatte nach dem Atomunfall 2011 in der Gemeinde Minamisôma, die zum größeren Teil außerhalb des 30-Kilometer-Radius um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi liegt, 142 sogenannte Sonderevakuierungs-Gebiete ausgewiesen. Die Flucht aus diesen Gebieten war den Bürger*innen freigestellt, aber nicht verpflichtend. Die Bewohner*innen solcher Hotspots erhielten zeitweise einen Teil der Kosten für medizinische Hilfe erstattet. Sie waren berechtigt, kostenlos in provisorischen Unterkünften außerhalb dieser Gebiete zu wohnen und erhielten (viel zu geringe) Entschädigungszahlungen des Unfall-Hauptverursachers Tôkyô Denryoku, kurz Tôden (TEPCO). 

 

Im Dezember 2014 hatte die Regierung die Evakuierungsanordnungen aufgehoben, weil die jährliche Strahlenmenge  unter 20 Millisievert gefallen war. Damit fiel auch die Berechtigung auf Unterstützungsleistungen weg. Viele Betroffene glauben, dass es der japanischen Regierung bei ihrem Vorgehen darum gehe, der Welt anlässlich der Olympischen und Paralympischen Spiele ein Land zu präsentieren, das die Atomkatastrophe vollständig überwunden habe. Daher wolle sie, dass möglichst viele Flüchtende wieder in ihre alten Gemeinden zurückkehren.


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