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Das Prinzip der "Genesung zu Hause": Angesichts explodierender Corona-Zahlen meldet Japans Premierminister Suga gesundheitspolitisch Insolvenz an

Die Olympischen Spiele in Tôkyô neigen sich ihrem Ende zu. Die Corona-Krise in Japan nimmt dagegen weiter an Fahrt auf. 14.207 Neuinfektionen meldete der Fernsehsender NHK, der täglich in aktualisierten Tabellen und Diagrammen die offiziellen Daten zur Pandemie übermittelt, am Mittwoch. 7690 davon entfielen auf den Großraum Tôkyô. Dort ist das Gesundheitssystem - wie von Experten vorhergesagt - zunehmend überlastet. Premierminister Suga hatte daher am Vortag mit einer bemerkenswerten gesundheitspolitischen Maßnahme aufgewartet - dem "Prinzip Genesung zu Hause" (gensoku jitaku ryôyô 原則自宅療養).  Sie stellt nichts weniger als eine politische Form der Triage und einen gesundheitspolitischen Offenbarungseid dar. Eine Welle der Empörung brach daraufhin los.


 

"Um das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung inmitten der beschleunigten Verbreitung der Delta-Variante zu beschützen, indem jedem die benötigte Behandlung zuteil werden kann, haben wir diese Richtlinien beschlossen", erklärte hingegen Premierminister Suga Yoshihide am Mittwoch gegenüber Reportern. "Sie beziehen sich auf Tôkyô und die Metropolregion, wo die Neuinfektionen sich explosionsartig vermehren“. Auf die  ca. 37 Millionen Menschen beherbergende Metropolregion mit Tôkyô (4166 Neuinfektionen gemeldet am Mittwoch) sowie den angrenzenden Präfekturen Kanagawa (1484), Saitama (1200) und Chiba (840) kommen etwa zwei Drittel aller Corona-Fälle in Japan. 

 

Die vom Kabinett beschlossene Richtlinie sieht laut der englischsprachigen The Asahi Shimbun vor, nur noch schweren Fällen die Einweisung in ein Krankenhaus zu gestatten. Wie schwer erkrankt man sein muss, um als schwerer Fall zu gelten, verdeutlicht dieses Detail: Die Versorgung von Patient*innen mit Sauerstoff aufgrund von Atembeschwerden galt demnach als Erkrankung mit "moderaten Symptomen". Mit den medizinischen Beratern der Regierung abgesprochen war die Richtlinie nicht, jedenfalls nicht mit Chefberater Omi Shigeru 尾身茂. Der Vorsitzende der Japan Community Healthcare Organization (JCHO) ist seit längerem ein beständiger Kritiker des Umgangs der Politik in Japan mit der Pandemie. 

 

Die Opposition forderte umgehend die Rücknahme der Richtlinie. Die Kommentare in Sozialen und anderen Medien sind vernichtend. Am Mittwoch wurden dann selbst unter Sugas liberaldemokratischen Parteikollegen Stimmen von Parlamentariern laut, die eine Korrektur verlangten. Der Premier hatte dazu allerdings eine andere Wahrnehmung. "Nicht Rücknahme, sondern präzise Erklärungen" seien von LDP-Abgeordneten verlangt worden, entgegnete Suga auf Reporterfragen hin. Den Forderungen kam der permanent überfordert wirkende politische Führer Japans nach, indem er nun deutlich machte, dass „Menschen mit moderaten Symptomen, die eine Sauerstoffgabe benötigen, oder diejenigen, bei denen das Risiko besteht, schwerwiegend krank zu werden, auch wenn sie keine Verabreichung von Sauerstoff benötigen, selbstverständlich ins Krankenhaus eingeliefert werden können". Die Krankenhauseinweisung erfolge nach Ermessen des Arztes, sagte Suga laut NHK (4. August 2021).

 

Um die Bedenken seiner Kritiker*innen zu zerstreuen, versprach Suga weiter, für die Patient*innen, denen der Zugang ins Krankenhaus verwehrt bleibt, "ein System für häufigen Kontakt per Telefon etc." zu etablieren, "so dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden können, sobald sich die Symptome verschlimmern."

 

So hoch die Corona-Zahlen in Japan auch steigen mögen, sie repräsentieren allenfalls ein ungefähres Bild über die wahre Situation. Denn von Anfang an wurde ein Testprogramm gefahren, das vor allem durch Restriktion gekennzeichnet war. Überspitzt formuliert: die besten Chancen, einen Test zu bekommen, hatten die Patient*innen, die an Corona bereits verstorben waren. Im Juli - #Tokyo2020 - reduzierte das Land die Zahl der Tests noch einmal deutlich:  Gesundheitspolitik der Marke Donald Trump. Erst in den letzten Tagen stieg die Zahl an PCR-Tests an - mit dem exponentiellen Wachstum bei den Neuinfektionen vermögen sie aber noch immer nicht mitzuhalten.

 

 

Am Donnerstag wurde in Tôkyô die neue Rekordzahl von 5042 Neuinfektionen gemeldet, 15.261 waren es landesweit.

 

Corona-Zahlen in Japan bei NHK: 

https://www3.nhk.or.jp/news/special/coronavirus/data/

 

Diagramme:

https://www3.nhk.or.jp/news/special/coronavirus/data-all/?fbclid=IwAR3rbksIqXAUk01TiACMKWR1rgYZ1UpyM-t9t5P0zOGIATEqrd5NUD4E7Zc

 

11:30

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